Dienstag, 30. Juni 2009

Die strategischen Dilemmata der SPD

Betrachtet man die Entwicklung der SPD über die letzten drei Jahrzehnte, drängt sich die Vermutung auf, dass sich die SPD in einer strategischen und historischen Krise befindet, ausgedrückt in vier Dilemmata. Noch berauscht von den Reformerrungenschaften der Brandt-Ära, hat die altbundesdeutsche Sozialdemokratie in den 70er Jahren nicht anders als so manche Schwesterpartei in Westeuropa das Thema Umweltschutz verschlafen - ein Erhard Eppler macht eben noch keinen ökologischen Sommer. Ergebnis war die Gründung der Grünen. Auch heute ist Nachhaltigkeit nicht wirklich im Mainstream der Genossen angekommen - man gewährt Abwrackprämien und rettet mit Milliardensubventionen Automobilkonzerne, ohne einen ökologischen Aspekt auch nur in Ansätzen zu benennen. Im Anschluss an die Vereinigung mit der DDR hat die SPD einen beträchtlichen Teil der Wähler in den neuen Bundesländern nicht erreicht und somit der PDS erlaubt, sich als (Ost-)Volkspartei zu etablieren. Im Zuge der Agendawehen ist ihr dann die soziale Gerechtigkeit abhanden gekommen und über den Umweg der WASG (West) in der Linken gelandet - zumindest gefühlt. Unabhängig davon, ob sich die Piratenpartei in der BRD dauerhaft festsetzen kann oder nicht, droht der SPD nun ein Teil des ohnehin raren Nachwuchses verlorenzugangen: die Digital Natives. Eine aktive Fraktion der "Internetgemeinde" ist jedenfalls zurzeit auf Krawall gebürstet und zürnt vor allem mit der SPD. Mit jedem dieser Versäumnisse sind Mitglieder und (Stamm-) Wähler verloren gegangen. Dabei ist keines dieser Themen zwingend mit den im Windschatten entstandenen neuen Gruppierungen verbunden, heißt: Die Grünen haben kein Abo auf Ökologie usw. Es fehlen aber Personen innerhalb der SPD, die sichtbar die mit diesen Themen und den damit verbundenen Lifestyles assoziiert werden und die signalisieren: "Die SPD versteht, wie ich drauf bin - als LOHAS-Typ (Lifestyle of Health and Sustainability), als gelernter DDR-Bürger, als Hartz-IV-Empfänger oder als Internet-Freak."

Freitag, 26. Juni 2009

Ex-Sozi und Neo-Pirat Tauss rechnet mit alter Partei ab: "Borniertheit, "techn. Desinteresse"

Der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnte und Neu-Mitglied der BRD-Piratenpartei Tauss geht mit seinen ehemaligen Genossen hart ins Gericht. Die Führungsriege kennzeichne "Borniertheit" und "technisches Desinteresse", erklärte er auf abgeordnetenwatch.de. (tagesschau.de)

Blogger erklären SPD zum "Feind des Internets"

Jetzt wird es hart. Führende Blogger erklären die SPD zum "Feind des Internets" und blasen zum virtuellen Sturm auf das Willy-Brandt-Haus. (spiegel.de)

Jugendliche unter 30 informieren sich über Politik online

Wenn wir es nicht schon geahnt hätten, so wüssten wir es jetzt, dafür empirisch untermauert: Wenn Jugendliche sich über Politik informieren, nutzen sie - das Internet. Hier wird eine große politisch-kommunikative Herausforderung liegen - die Qualität klassischer "seriöser" Kanäle mit den veränderten Rezeptionsgewohnheiten von digitalen Eingeborenen zu synchronisieren. (stern.de)

Netz, Revolte, Politik, Emotionalisierung

Die "Rezeption" der Todes der iranischen Demonstrantin Neda verdeutlicht die Kombination aus Emotionalisierung und Digitalisierung eines - zweifelsohne grausamen - politischen "Events". Neda avanciert zur globalen virtuellen (und damit sehr realen) politischen Ikone. Das Antlitz von Che Guevara brauchte dazu letztendlich lange analoge Jahre, das Medium Internet schafft es innerhalb von Stunden über 24 Zeitzonen hinweg. (stern.de)

Jacksons Tod triggert das System Internet

Mit dem Medium Internet reiten wir (auf) einen(m) Vulkan. Selten zuvor wie in den letzten Stunden erweist sich das Netz als hochsensibles, weil im systemischen Sinn extrem vernetztes (was auch sonst?) Gebilde: Michael Jacksons Tod verlangsamt das Internet und generiert Falschmeldungen - unter anderem über Twitter (!) und mit politischem Inpact. So habe angeblich der britische Außenminister das Ableben des King of Pop kommentiert - was das britische Außenministerium dementieren wie auch das Online-Leitmedium Spiegel.de richtigstellen musste (Quelle: Spiegel.de, 26.6.2009).

Donnerstag, 25. Juni 2009

Schwedischer EU-Pirat wird Mitglied der Grünen-Fraktion

So wie es aussieht, schließt sich der Abgeordnete der schwedischen Piratenpartei im europäischen Parlament der Fraktion der Grünen an. Das berichtet der Gründer der "Piratpartiet", Rick Valkvinge, auf seiner Internetseite. Es habe zuvor allerdings auch Gespräche mit der liberalen und der linken Fraktion gegeben. Quelle (auf schwedisch).

Piratenpartei in Schweden nach Mitgliedern bereits drittstärkste Partei

Die schwedische Piratenpartei ist wenige Wochen nach ihrem Erfolg bei der Europawahl - sie erzielte aus dem Stand 7,1 Prozent und entsendet einen Abgeordneten nach Straßburg - nach Mitgliedern gerechnet bereits die drittstärkste (!) Partei nach den Sozialdemokaten und der konservativen Moderaten Sammlungspartei, noch vor den Grünen und der Linkspartei. Sie zählt zurzeit etwa 50.000 registrierte Anhänger - wohl gemerkt: auf 9,3 Mio. Einwohner. Zum Vergleich: Bündnis 90/Grüne haben 45.000 Mitglieder auf 82 Mio. Einwohner. Damit wird deutlich, dass die aus der Alltagskultur der Digital Natives hervorgegangenen Anliegen der Piraten zumindest in Schweden extrem resonanzfähig sehen - sie treffen den Nerv einer Generation. Schweden lässt ahnen, was unter Umständen auf andere entwickelte Länder und deren Parteisysteme zukommt.

Schweden war in Bezug auf die neuen Informations- und Kommunikationstechniken (ICT) in gewisser Hinsicht Vorreiter. Früh waren dort Mobiltelefone durchgesetzt, zwei Drittel des skandinavischen Landes ist mit Breitbandanschlüssen versehen. Als eine der entscheidenden Fragen im Kulturkampf zwischen der "Internetgemeinde" und den "Digital Immigrants" deutet sich neben der Frage der Zensur von Websites die Brauchbarkeit des klassischen Urheberrechtes an.

Weitere Infos und Hintergründe zu den Piraten in Schweden:

Mittwoch, 24. Juni 2009

Liebe Internetgemeinde

Die sozialdemokratische SPD-Führung erkennt langsam, dass ihnen eine komplette Alterskohorte verloren zugehen droht: "SPD-Generalsekretär Heil hat versichert, seine Partei suche weiterhin den ‘Dialog’ mit der Internetgemeinde. Deren Sorge werde ernst genommen, das in der vergangenen Woche mit den Stimmen der SPD-Fraktion verabschiedete Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornografie im Internet sei ein Einstieg in Zensurmaßnahmen, sagte Heil" (FAZ 23.6.09 S. 5). Immerhin erzielte die Piratenpartei, deren Mitglieder sich fast ausschließlich aus der Altersgruppe der Digital Natives speist, bei der Europawahl im Berliner Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain beispielsweise 3,4 Prozent. Der SPD-Partei-Linke und Ex-Juso-Chef Björn Böhning, selbst Kritiker der Internetsperren, will dort als Direktkandidat gegen den prominenten linken Grünen Hans-Christian Ströbele antreten.

Freitag, 19. Juni 2009

Die Realität ist manchmal schneller als der Gedanke, der sie reflektiert. Der "Kulturkampf" der Digital Natives in der Arena der Politik geht in die nächsten Runde. Aktuelle Zielscheibe: die SPD. Zum bisherigen Verlauf. Die beiden Regierungsparteien planen die Verabschiedung des "Zugangserschwerungsgesetz gegen Kinderpornografie". Kritiker merken an, dass die geplanten Maßnahmen ihr Ziel verfehlen, stattdessen aber der Internet-Zensur Tür und Tor geöffnet werde. Zur Europa-Wahl war ja bereits die "Piratenpartei" in verschiedenen Ländern angetreten und hat über die schwedische Liste einen Abgeordneten in das Brüsseler Parlament entsandt. Nun nutzt ihr bundesdeutscher Ableger ein gutes altes Mittel der "analogen" Politik und ruft für Sonnabend, den 20. Juni, zu einer Demonstration auf - ausgerechnet vor der Parteizentrale der ohnehin schwächelnden SPD (für die bisherigen Fakten: Spiegel online, 18.6.2009). Sie bietet einen Tausch der Parteibücher an. Die sozialdemokratischen Digital Natives reagieren. Der Online-Beirat der SPD erklärt:
„Die SPD ist dabei, sich für die Digitale Generation unwählbar zu machen. Das wird sich bereits bei Bundestagswahl niederschlagen, weil mit der Entscheidung für die Netzsperren jeder Internet-Wahlkampf ad absurdum geführt wird - erst recht, weil der Online-Wahlkampf 2009 unter der besonderen Aufmerksamkeit aller Medien steht. Eben die Klientel, die Barack Obama zum mächtigsten Mann der Welt gemacht hat, die Multiplikatoren im Netz nämlich, sehen in den Netzsperren einen Verrat an allen Werten, die die SPD ausmachen: Demokratie, Fortschritt, Teilhabe. Es gibt eine handvoll lauter Stellvertreter dieser Generation; hinter ihnen stehen die 130.000 Mitzeichner der erfolgreichsten Petition aller Zeiten - aber auch die vielen Millionen jungen Menschen, die zum Teil schon wählen können und für die das Netz nicht einfach ein weiterer Medienkanal ist. Sondern der Ort, wo die Gesellschaft, ihre Gesellschaft stattfindet. Unwählbarkeit bedeutet hier für eine Partei also, sich jede Zukunftschance zu vernichten.“ (Erklärung SPD-Online-Beirat).
Doch dabei bleibt es nicht. Innerhalb der SPD formieren sich die Digital Natives ebenfalls als „Piraten“ – als spdpiraten eben. In postmoderner Manier übernehmen sie Sprache und ästhetischen Duktus der Piratenpartei – allerdings innerhalb des altehrwürdigen Apparates. Selten sind die kulturellen Differenzen zwischen Digital Natives und der „Generation ausdrucken“ politisch so deutlich zu Tage getreten.


Die Politik 2.0 tritt in ein neues Stadium und geht einen "analogen" Weg. Meine These: Mit dem Einzug der schwedischen Piratenpartei in das Europaparlament haben die Digital Natives - denen ich als Jahrgang 1965 qua definitionem nicht angehöre - ihr erstes genuin politisches Projekt gestartet. Es bleibt abzuwarten, wie die klassischen Parteien - die Grünen darf man genauso dazu zählen wie die Linke - versuchen werden, die "Generation C64" mit (auch) digitalen Mitteln (zurück-) zu gewinnen. Um ein erstes Gefühl für diese politischen Digital Natives zu erhalten, möchte ich auf ein Interview mit dem Vorsitzenden der Piratenpartei in der BRD hinweisen: Andreas Plopp.